Evangelische Kirchengemeinde Waldstetten
 

Auftakt zur Visitation

Predigt der Dekanin Ursula Richter an Okuli in Rechberg und Waldstetten anlässlich der Visitation 7.3.21

Meine Augen sehen stets auf den Herrn (Psalm 25,15)

Liebe Gemeinde,

dies ist ein Wort von tiefer Spiritualität. Ein Mensch sagt etwas über seine Lebenshaltung: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn.“

Meine Augen können auf vielerlei sehen und tun es auch.

Auf was ich sehe, bindet und prägt mich.

Es geht an einem Kind nicht spurlos über, wenn es viel Gewalt sieht. Oder aber freundliche Gesten wahrnimmt bei Eltern, in der Familie.

Und es hat eine Wirkung, wenn Sie im Lockdown hinausgehen in Ihre wunderbare Landschaft und beim Spazieren am Rechberg weites Land sehen. Die Weite geht durch die Augen in die Seele und weitet Herz und Sinne in dieser schwierigen, angespannten Zeit.

Auf was ich sehe prägt mich, bindet mich, dessen Wesen geht in mich über. Weil mit „Sehen“ etwas viel Tieferes und Existentielleres gemeint ist, als nur das bloße „Wahrnehmen“.

 

„Meine Augen sehen stets auf den Herrn.“

Aus welchen Erfahrungen kommt der Mensch, der diesen Psalm in Gedichtform nach dem hebräischen Alphabet aufgeschrieben hat, zu einer solchen Aussage? In welcher Situation sind die Frauen, Männer und jungen Leute, die diesen Psalm in der Gemeinde mitgebetet haben? Das babylonische Exil noch nicht lange her. Die Zeit bedrohlich in mancher Hinsicht. An manchen Missständen selbst schuld. Sie erkennen ihren Weg nicht mehr, alles ist anders als früher.

In dieser Situation wenden sie sich an ihren Gott.

Diese Hinwendung geschieht im Vertrauen.

„Vertrauen“ ist die verwegene Ausrichtung des Herzens und des ganzen Lebens.

„Du bist ja mein Helfergott, auf dich harre ich allezeit.“

„Harren“ ist jenes gespannte Aussein auf Gott, das Warten auf sein Wirken, welches nicht beschämt wird. Sie bitten und vertrauen als Gemeinde darauf, dass Gott ihnen neue Existenzmöglichkeiten eröffnet, Angst und Schuld wegnimmt, Kräfte neuen Lebens an ihre Stelle treten, ihr Weg sich in die Zukunft auftut.

„Unsere Augen sehen stets auf den Herrn.“

Ein Wort von tiefer Spiritualität. Es atmet den Geist von Umkehr, Neuorientierung und verwegenem Glauben.

In diese Lebenshaltung haben die Menschen sicher erst durch Ringen hindurchgefunden. Sie ist nicht selbstverständlich. In sie muss man sich im Annehmen der eigenen Ohnmacht immer wieder einüben.

 

„Unsere Augen sehen stets auf den Herrn.“ Auch wir, liebe Schwestern und Brüder in Rechberg/ Waldstetten. Auch wir kommen in dieser Zeit bewusst zum Gottesdienst zusammen. Auch wir beten diesen Psalm mit- im Blick auf unsere persönliche Situation, im Blick auf die uns alle betreffende bedrohliche Pandemie. Auch im Blick auf unsere Gemeinden und Gottesdienste, um die wir uns sorgen. Wie werden wir aus dieser Krise herauskommen? Werden die Leute wiederkommen? Wie sieht es „danach“ aus? Wer Verantwortung hat oder Herzensanliegen und sich engagiert in Gemeinde- wie Pfarrer Krieg, der Kirchengemeinderat, Mitarbeitende- auch in Kommune, Vereinen und Projekten- kann ein Lied von diesen Sorgen singen. Aber man darf ja gar nicht singen…

Viele Menschen fühlen sich heute ohnmächtig. Wir sehen alle den Weg nicht so ganz klar. Die Pandemie führt uns immer neu und unerbittlich vor Augen: wir haben viel weniger in der Hand, als wir je glaubten.

Erschöpfung und Überforderung machen sich breit.

 

Doch auch schon vor Corona machten wir uns in unseren Gemeinden Sorgen über deren Zukunft. Der Traditionsabbruch macht auch vor unserer Region nicht Halt. Auf der anderen Seite erleben wir, auch jetzt in der Pandemie, ehrliches Suchen von nicht wenigen Menschen-Älteren und Jungen- nach Halt, Orientierung und gelebtem Glauben; Glauben, der das Leben, die Welt im Blick hat. Es ist eine Riesenüberraschung zu sehen, wie viele Menschen bei gestreamten Gottesdiensten und übers Internet sich annähern. Menschen, denen diese Distanz hilft, sich zu nähern. Ohne Corona hätten wir nie die digitalen Möglichkeiten so entdeckt. Sie sind kein Ersatz und können echte menschliche Gemeinschaft, wie ich sie gerade auch in Ihrer Gemeinde immer wieder erlebt habe, nicht ersetzen. Ich denke an Ihr phänomenales Luthertheater, an das Jubiläum der Erlöserkirche, an Gemeinschaft und Engagement auch für Menschen in Not.

Aber die digitalen Möglichkeiten sind Pfade durch den Wald zu Menschen, auch nach der Pandemie.

Vielleicht ist die Pandemie, dieses unfreiwillige Fasten, zumal in der Passionszeit, dafür gut, dass wir uns auf Wesentliches besinnen.

„Meine Augen sehen stets auf den Herrn.“

In dieser herausfordernden Situation können unsere Augen auf vielerlei sehen. Sie können starren auf Probleme, auf das, was nicht mehr ist, wie es früher war. Oder sich festbeißen an Inzidenzzahlen oder Statistiken über Kirchenaustritte, zurückgehende Finanzen und Personalstellen.

Wir können im Jammern und Resignieren festsitzen.

Aber Gott hat uns nicht den Geist der Verzagtheit, sondern der Kraft und der Liebe und Besonnenheit geschenkt.

In Ihrer Gemeinde spüre ich immer wieder diesen Geist gegen die Verzagtheit und mit Offenheit für die Zukunft. Danke allen, die daran mitwirken!

 

Unsere Augen können hängen an der Bedeutung der Kirche, die sie bisher in Gesellschaft und Staat hatte und gewiss mehr als anderswo noch hat. Doch Jesus hat uns nicht dazu berufen, mächtig zu sein, sondern Salz der Erde!

Es hat ja etwas mit unserem Glauben und der Verwurzelung in der jüdisch-christlichen Kultur und den durchs Feuer gewonnenen Erkenntnissen aus der Nazizeit zu tun, wenn wir im Kirchenbezirk schon 2019 einen Einwurf gegen Rassismus und die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren gemacht haben, oder dass Kirchengemeinden das Seenotrettungsschiff Seawatch4 unterstützen, Faire Gemeinden werden, sich engagieren in Vesperkirchen und für Menschen in Not da sind, und dass wir gegenüber aktiver Sterbehilfe sehr verhalten sind. Das alles hat etwas mit dem Glauben an Gott zu tun, der in der Schöpfung am Werk ist und alle Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen hat: das im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlingskind Alan Kurdi und die Heimatlosen an den Grenzen Europas, die demente Frau im Pflegeheim, der Suchtkranke aller Milieus, der Junge mit Down-Syndrom, die Geschäftsfrau, die um ihren Betrieb bangt, der Unternehmer, der unter Druck steht, aber doch die Region unterstützen möchte, die Studenten aus Nigeria und die von der Alb ra.

Menschenwürde ist unteilbar.

Unsere Augen sehen stets auf den Herrn.

Diese Ausrichtung lässt uns auch so manches „Herrentum“ kritisch sehen, wie uns Dietrich Bonhoeffers Vorbild wie ein Kompass zeigt.

Das andere Wesentliche, das wir in Gesellschaft und vor Ort einbringen, ist der Glaube selbst. Seine Weitergabe und Pflege. Die Begleitung von Menschen an Schwellen ihres Lebens. Das Mittragen von Zweifel und Anfechtung. Und Hoffnung über dieses Leben hinaus.

Ja, der Mensch ist Gottes Ebenbild. Und er macht Fehler, manchmal große. Auch wir Kirchen. Wir sind Teil der Welt. Dass Gott Sünder nicht ausschließt aus seinem Volk, dass man zu seinen Fehlern stehen, von der Vergebung leben und umkehren kann, das geben wir großen und kleinen Menschen weiter.

Die geistlichen Aspekte der Kirche mögen weniger öffentlichkeitswirksam sein, aber immer wieder existenzrelevant erfahrbar in der Begegnung von Mensch zu Mensch, in Seelsorge und Beichte, am Grab, bei Trauungen und Taufen, an Übergängen des Lebens, in Religionsunterricht, Gottesdienst und Fürbitte für die Welt- auch für die, die Verantwortung übernehmen.

Albrecht Schönherr, früherer Bischof in Berlin-Brandenburg und Weggefährte Bonhoeffers, sagte 1985: „Die Kirche ist stark, wenn sie sich im Glauben an Christus hält und er in ihr Raum hat. Sie ist schwach, wenn sie sich ihre Kraft woanders herholen will.“

 

„Unsere Augen sehen stets auf den Herrn.“ Das gibt den Kompass. Auch heute.

Wie die Frauen und Männer damals, haben auch wir uns im Annehmen der eigenen Ohnmacht in diese Lebenshaltung immer wieder einzuüben. Die Pandemie gibt uns dazu genug Gelegenheit. Sie lehrt uns, in verwegenem Vertrauen unsere Augen in Gott festzumachen und mit Herz und Leben aus zu sein auf sein Wirken. Nie habe ich so oft wie in diesen Monaten gespürt, was Jesus meint, wenn er sagt: sorge dich nicht um den nächsten Tag, jeder Tag hat seine eigene Plage und euer Vater im Himmel weiß um euch und was ihr bedürft.

Aber wir sind Menschen. Und manchmal wie Petrus, der, auf dem Wasser des Sees gehend, wohl auf Jesus sah. Als die Wellen größer wurden, bekam er Angst und begann zu sinken. Aber da hielt ihn Jesus mit seiner Hand fest.

Wie gut, dass der, auf den ich sehen möchte, mich zuerst gesehen hat.

Du bist ein Gott, der mich sieht,“ erkennt Hagar in der Wüste.

Aus dem brennenden Dornbusch sprach Gott zu Mose: „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen, dass ich sie errette und herausführe.“

Bei der Berufung in die Nachfolgegemeinschaft der Jünger sagte Jesus zu Nathanael: „Bevor Philippus dich rief, sah ich dich.“

Der, auf den Sie sehen, hat Sie zuerst gesehen! Bevor jemand Sie rief in den KGR, in die Mitarbeit, in die Gemeinschaft der Christen, sah Christus Sie.

Er wurde auch ohnmächtig. Mit uns. Für uns. Lothar Zenetti schreibt: „Nicht der Machthaber-der Ohnmächtige, den sie verlachten, hat an mich gedacht. Nicht der Gewinner- der Verlierer hat mich gewonnen.“

Bei Jesus ist die Ohnmacht angenommen und aufgehoben.

„Meine Augen sehen stets auf den Herrn.“

Und es ist doch so: der, auf den wir sehen, bindet uns, der prägt uns, dessen Wesen geht in uns über und dieses strahlen wir auch aus. Ursprung echter Frömmigkeit und glaubwürdigen Leben. Da gibt es noch ein Geheimnis:

 

Auf den Herrn sehen bedeutet zugleich, auf die Geringsten in Gesellschaft und Welt zu sehen. „Wann haben wir dich gesehen nackt oder hungrig, fremd oder krank?“ Und Jesus antwortet: „Was ihr einem von den geringsten meiner Geschwister getan habt, das habt ihr mir getan.“.

Auf Jesus sehen, heißt auch, auf die Hungrigen, Nackten, Fremden und Kranken unserer Zeit zu sehen. Wo Jesus ist, ist der Ort der Kirche

„Unsere Augen sehen stets auf den Herrn.“ Das stellt unsere Füße und unsere Gemeinden auf weiten Raum und festen Grund.

Gottes Wirken erwarten wir. Wir werden nicht beschämt werden.

Hilde Domin gibt uns ein gutes Wort für diese Zeit: „Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise, wie einem Vogel, die Hand hinhalten.“

Amen. 


Wort des Schuldekans zur Visitation im Gottesdienst

am Sonntag, 7. März 2021, Okuli

Bruder-Klaus-Kapelle Rechberg / Erlöserkirche Waldstetten

Pfarrer Dr. Harry Jungbauer, Schuldekan

 Liebe Gemeinde hier in Rechberg bzw. in Waldstetten,

 „Die Ältesten, die der Gemeinde gut vorstehen, die halte man zweifacher Ehre wert, besonders, die sich mühen im Wort und in der Lehre.“ – so lesen wir es im 1. Timotheus-Brief des Neuen Testaments, im 5. Kapitel.

Von Anfang an, so können wir diesem Bibelvers aus dem 1. Jahrhundert der Christenheit entnehmen, waren Menschen für die Gemeinde wichtig, die im Wort und in der Lehre sich mühten.

Predigt und Unterricht sind hier als die beiden entscheidenden Lebensäußerungen des christlichen Glaubens zusammengestellt. Beides ist unbedingt dafür nötig, den Glauben weiterzugeben und ihn einsichtig zu machen. Es braucht die Predigt für die glaubende Gemeinde, die ich zum Gottesdienst versammelt – und es braucht den Unterricht für die Glaubenden in der Schule und im Alltag, die Fragen haben, die den Glauben verstehen wollen. Nicht umsonst gibt es inzwischen auch eine Bewegung „Religionsunterricht für Erwachsene“, die zu unserer Erwachsenenbildung gehört und gerade in unserem Kirchen-bezirk momentan ganz bewusst ausgebaut wird. Denn Predigt und Unterricht, oder wie es unser Bibelvers sagt, „Wort und Lehre“ ergänzen sich in unserem Glauben.

Predigt soll aufbauen, soll den Glauben vertiefen. Das Wort wird uns als glaubende Gemeinde zugesprochen, damit es uns im Glauben trägt und ermutigt, tröstet und uns zu wichtigen Folgen aus dem Glauben anspornt. Immer ist dabei aber schon die Glaubensüberzeugung vorausgesetzt, wenn es sich nicht ausdrücklich um eine Missions-predigt handelt. Nicht zufällig – und das kann man in der Apostelgeschichte in der Bibel gut nachvollziehen – besteht eine Missionspredigt dann auch fast durchgehend aus „Lehre“, ist also im Grunde Unterricht in Predigtform.

Und genau das ist nötig, um Menschen vom Glauben an Jesus Christus zu überzeugen, um Zweifel auszuräumen und Anfragen an den Glauben zu beantworten. Ja, auch um den eigenen Glauben gegen Angriffe von außen zu verteidigen, um sich mit dem Wort wehren zu können (und eben nicht mit Gewalt): dazu muss man den Glauben verstanden haben – und das leistet der Religionsunterricht, jedenfalls ein guter Religionsunterricht.

Hier in Waldstetten und Rechberg, in Straßdorf und Wißgoldingen ist der Religionsunter-richt auch ein großer Teil der Jugendarbeit. Da kommen evangelische Kinder und Jugend-liche zusammen, die sich auf dem verstreuten Gemeindegebiet sonst nur schwer treffen können. Da finden Sie in Herrn Pfarrer Krieg einen Ansprechpartner, der ihnen einleuch-tend und ganz praktisch den Glauben erklären kann. Und neben dem Pfarrer war nun zweieinhalb Jahre Vikar Stier-Simon da tätig und es sind weitere Religionslehrkräfte am Werk in der Gemeinschaftsschule unterm Hohenrechberg mit ihrer Außenstelle in Wiß-goldingen, in der Scherr-Grundschule Rechberg und in der Römerschule Straßdorf.

Schließlich bietet die Katholische Franz-von Assisi-Schule, eine Freie Realschule, wie-derum als Privatschule einen besonderen Akzent. An all diesen Schulen erleben auch zahlreiche evangelische Schülerinnen und Schüler aus Ihrer Gemeinde ihre Bildung und vor allem den Religionsunterricht.

Sie merken schon: da sind ganz viele Kinder und Jugendliche dabei, jede Woche im zweistündigen Religionsunterricht von der christlichen Hoffnung zu erfahren – und ganz viele Lehrkräfte, von ihrer Hoffnung Rechenschaft zu geben. Da werden biblische Ge-schichten erzählt und gestaltet, Lebensfragen besprochen und gemeinsam überlegt, wie sich unser Glaube in der Welt einbringen kann.

Es lohnt sich, dass wir diesen Bereich als Gemeinde wahrnehmen und als eine Art der Gemeindearbeit anerkennen und wertschätzen. Solche Wertschätzung drückt sich darin aus, dass wir gegenseitige Einladungen aussprechen und aufmerksam verfolgen, was in Schule und Gemeinde jeweils geschieht, ganz besonders im Blick auf das Leben im Glauben, die Rede und das Zeugnis vom Evangelium Jesu Christi.

Als Schuldekan werde ich daher alle Schulen zur Visitation besuchen und dem Kirchen-gemeinderat berichten, damit die Verbindung zur Gemeinde weiter gestärkt wird. Denen, die wie damals zu Beginn der christlichen Gemeinden, sich um Wort und Lehre kümmern, gilt unser besonderer Dank. Den möchte ich bei dieser Gelegenheit weitergeben.

Lassen auch wir uns ermutigen und von jedem alten Wort aus dem 1. Timotheusbrief bewegen, beides, Predigt und Unterricht in gleicher Weise wertzuschätzen und die Anstrengungen von Lehrkräften wie von Predigern zu achten und dafür dankbar zu werden. Ihr Pfarrer Krieg verbindet ja beides, Predigtamt und Lehrkraft in geradezu idealer Weise. Achten wir so beides gleich und sind dankbar dafür:

Die Ältesten, die der Gemeinde gut vorstehen, die halte man zweifacher Ehre wert, besonders, die sich mühen im Wort und in der Lehre.“                                Amen.